Von Wind und Sturm 

Seltenes Lächeln  (Foto)

Ans Ende der Welt 

Quidi, das muntere Hirnkrebslein  (Foto)

Eisschmetterling 

Zaubersprüche der Nacht (Kerstin Jäckel) 

Für Maggie 

Roter Mohn

Quidi auf Inspektionsrundgang  (Foto)

WAHRE MACHT 

Gedanken im Gewitterregen 

Lass es nie beginnen

Maximilian und Isabella 

Kleine Farbenlehre 

Erinnerungen an Nemesis II 

Die neue Wohnung 

Alle Farben des Himmels

Zwielicht der Dämmerung

Gift der Eibe 

Muschelbänke des Lichts

 

Selbstbildnis von sanguis Draconis

 

Von Wind und Sturm
sanguis draconis © 11.03.2003 


Die Morgensonne trocknet die letzten Bodennebel,
bringt strahlendes Licht in dunkle Täler.
Eine Quelle murmelt ihr munteres Lied
hinab über die Steine,
funkelt mit den Morgentautropfen um die Wette.
Ich stehe auf dem Gipfel eines Berges.

Ich lausche der Stimme des Windes, um dich zu hören.

Hoch über mir ziehen
rastlos weiße Wolkentupfen.
Der Wind erzählt mir
von Lachen und Glück,
von frisch verliebten Paaren,
der großen Liebe.

Nur deine Stimme vernehme ich nicht.

Mittags ist es fast windstill.
Träge ziehen ein paar Wolkenschleier dahin.
Der Wind säuselt mir
von weißen Hochzeiten,
von zufriedenem Leben in Zweisamkeit,
Traumreisen ins Glück.

Nur deine Stimme vernehme ich noch nicht.

Am Nachmittag zerfasern
eilige graue Wolkenfetzen
am scharfen Berggrat.
Der Wind bläst mir schärfer in`s Gesicht,
lässt die Wälder tief unter mir rauschen.
Er zischt
von Streit und Eifersucht,
von zerbrechenden Traumschiffen,
verlorenen Kindern.

Nur deine Stimme vernehme ich immer noch nicht.

Plötzlich verdunkelt sich die Sonne.
Die Nacht bricht an mit einem Gewitter.
Blitze zucken vom tintenschwarzen Himmel,
reißen glühende Spuren in`s Firmament.
Donner bricht sich in krachendem Inferno.
Ich muss der Allgewalt weichen,
Zuflucht suchen zwischen den starken Wurzeln
der verkrüppelten Bergkiefern.

Die sturmgepeitschten Wolken
erstreiten die Herrschaft des Gipfels.
Der Sturm umtost mich,
brüllt mir zu
von zerbrochenen Herzen,
von Einsamkeit, Krankheit,
langsamen Sterben und Tod.

Nur deine Stimme vernehme ich auch jetzt immer noch nicht.

Unfähig mich zu bewegen
harre ich aus
in meiner eisigen Zufluchtsstätte,
bis das Nachtgewitter gnädig weiterzieht,
die Kunde von Schmerz und Verderben
weiterträgt in andere Gefilde.
Als die Taubheit aus meinen Ohren verschwindet
höre ich wieder das stete Murmeln der Quelle.
Und plötzlich verstehe ich:

„Sag, kennst du ihre Stimme überhaupt?“
...

 

 

 

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Quidi, das muntere Hirnkrebslein
sanguis draconis © 27.03.2003 


Oh, welch ein Morgen. Ich schlag die Augen auf, und spür unter der Nase, um den Mund herum und links am Hals bis zum Ohr hinter eine klebrige Spur.
"Mist, schon wieder Nasenbluten!"
Dies ist einer der Morgen, an denen schon ganz früh alle nervlichen "Stricke reißen".
Erst gestern habe ich neue Bettwäsche aufgezogen: schwarz, mit nem kleinen goldenen Drachen rechts unten auf dem Kopfkissen. Tja, der Drache wird ab jetzt eher rostrot bleiben. Rostrot, genau wie das große Duschtuch, das immer neben dem Bett liegt, um eben über Nacht genau solche Fälle zu verhindern.
"Kann man sich nicht einmal wenigstens an was Neuem erfreuen? Nein, scheints nicht"
Morgen hätte ich brav das alte Duschtuch wieder verwendet. Nur diese eine verd... Nacht ohne! Ich leb sowieso nur mit dunkelblauer und schwarzer Bettwäsche. Nicht gerade therapeutisch wertvoll für nen "Depri", aber sehr zweckmäßig. Wie gern würd ich mal in ein gelbes oder weißes Bett schlüpfen.

Nun ja, sonst ist alles paletti. Ich betrachte kritisch die weiße Wand neben dem Bett.
"Alles klar, nix versaut"
Ich denk an den Malerpinsel, der im Keller noch nicht ganz trocken ist vom Wandstreichen, denn letztens hat ein Hustenanfall die Wand mit einem schönen roten Muster versehen. Hat ausgesehen wie feiner Sprühnebel in Rot. Nass war die Farbe ja ganz hübsch:
"Bring Farbe ins Leben",
fällt mir ein Werbespruch für Tapeten ein. Aber trocken ist es eben immer dieses scheußliche rostrot. Das braucht kein Mensch.

Ich will aufstehen, falle aber wie ein gefällter Baum wieder in Rückenlage. Mir dreht sich alles.
"Sch... Tabletten",
denk ich.
"Aber was hilft`s, da musst du durch. Erst mal ruhig liegen bleiben, dann wird`s schon wieder!"
Nix wird ! Es blutet bloß heftiger. Das Duschtuch ist längst
untergeschoben. Ich versuch, den Kopf über den Bettrand nach unten hängen zu lassen, was sofort von einer heftigen Kopfschmerzattacke quittiert wird. Eisbeutel helfen auch nicht, weiß ich aus Erfahrung. Mein Blick geht zum Telefon neben dem Bett. Ich werd mal meinen "Seelen-ADAC" anrufen, meinen "roten Engel". Hoffentlich ist der
"rote Engel" um diese Zeit am Sonntag schon wach.
Er - bzw. sie - ist wach.
"Gott sei Dank!"
Ich unterhalte mich über ne Stunde mit ihr. Sie ist einfach lieb. Das Herz quillt mir über, aber leider auch die Blutströme aus der Nase. Sie merkt, dass ich immerzu schniefe. Ich erzähls ihr und darf mich in ihrem Mitleid baden.
Wie genieße ich dieses Bad! Immer und immer wieder. Alles ist dann halb so schlimm. Ich bin unendlich dankbar, dass es sie gibt. Irgendwann frägt sie:
"Bist du noch da?"
Ich hab grade die Position im Bett gewechselt und bin am Rande einer Ohnmacht vor Kopfschmerzen. Ihre Stimme dringt durch, und ich bin wieder ganz Ohr.
Nun, auch die schönste Stunde geht vorüber, wir verabschieden uns.
"So, was tun?"
Ich leg mich ins warme Badewasser, das warme Blut tropft auf meine Brust, färbt mit jedem Tropfen das Wasser. Andere baden in Rosenblättern, ich halt in Blut. Wenigstens die Farbe stimmt.

Meine Gedanken kreisen. Es kommt mir wieder vor, als ob ein kleiner Krebs mit winzigen Scheren im Hirn sitzen würde und diese zum Zuschnitt für einen irren Schnittmusterbogen verwendete. Ich hab diesem treuen Begleiter schon lang
einen Namen gegeben: er heißt Quidi, das ist die Zusammensetzung der Anfangsbuchstaben der Tabletten, die ich nehme.
Oh, er ist ein Meister seines Fachs. Er schwingt die Scheren so virtuos wie kein anderer. Er schneidet zielsicher Äderchen durch, die man sowieso - so meint er - nie mehr braucht. Er kappt Erinnerungen, lässt Schlechtes verblassen. Praktisch, so ein Hirnkrebs, nicht wahr? Natürlich lässt er auch viel Schönes verblassen, aber das kümmert ihn wenig. Jede Dienstleistung hat schließlich ihren Preis.
Nun, heute ist Quidi in Höchstform. Er schafft gewissenhaft neue Gedächtnislöcher. Das, was an Substanz von ihm ausgehöhlt wird, fließt als klebriger Brei aus der Nase. Ah ja, er muß heute Geburtstag haben, deshalb ist er so eifrig bei der Sache. Den wievielten hab ich vergessen. Genauso, wie ich vergessen hab, wie lange ich eigentlich in der Wanne gesessen bin, bis Quidi müde geworden ist die Scheren zu schwingen.

Ja, Quidi macht keine halben Sachen.


© I.Astalos

 

 

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Für Maggie
sanguis draconis © 30.03.03 


In dieser Sackstraße des Lebens warst du mein Sonnenstrahl.
Seit du nicht mehr da bist, sind die Schatten lang geworden.

Ich habe gelernt ohne dich zu leben
aber meinen Weg zu mir immer noch nicht gefunden.
In der Menge der fremden Menschen sehe ich
dein Gesicht in jeder, die an mir vorüber geht.

Ja, ich habe durchaus gelernt, ohne dich zu leben
aber soll ich es Leben nennen?
Ich gehe durch die Straßen unserer Stadt.
Es dämmert, tausend Lichter gehen an.
Leblose Schaufenster erwachen zu schillerndem Leben
doch die Dunkelheit meines Herzens bleibt.

Lachende Pärchen flanieren vorbei.
Ein schwarzer Haarschopf, vom Wind zerzaust,
huscht an mir vorüber.
Ich möchte ihr nachrufen:
Bleib doch stehen, bitte warte auf mich!
Da dreht sie sich um, leider bist es nicht du.
Die Worte bleiben in meiner Kehle stecken
und mir ist plötzlich eine Fliege ins Auge gekommen.
Verschämt wische ich sie heraus.

Ja, ich habe lernen müssen, ohne dich zu leben,
es wäre leichter gewesen, den Mond vom Himmel zu holen.
Mittlerweile ist es Nacht geworden,
das Leben pulsiert hier in dieser Großstadtstraße.
Wie kann man so einsam sein inmitten dieser fröhlichen Menschen?

Die Pizzeria ist brechend voll.
Wie oft haben wir hier unsere Spaghetti aufgerollt
und wenn gar nichts mehr geholfen hat, einfach in den Mund geschlürft.
Chianti mochte ich nie besonders, aber dir zuliebe
hab` ich fleißig mitgetrunken.

Ja, ich habe lernen müssen,
unseren Weg nach Hause alleine zu gehen.
Wirklich lang sind sie geworden,
die Schatten der Laternenpfähle.

 

 

 

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WAHRE MACHT
© Sanguis Draconis 29.05.2003

WAHRER MACHT MUSST DU DICH BEUGEN
DEINE SEELE WIRD ZERSTÖRT
TODESKAMPF WIRD DAVON ZEUGEN
DASS DER SIEG GAR MIR GEHÖRT
MEINE KRALLEN WIRST DU SPÜREN
KOMM DOCH HER, JA, TRAU DICH NUR
EISESKÄLTE LÄSST DICH FÜHLEN
AGONIE AUF MEINER SPUR
WIRST NICHT ERSTE SEIN IM TODE
LIEBER SCHATZ, DAS GLAUBE MIR
GLÜHENDHEISSE FEUERLOHE
SENGT DAS LEBEN GANZ VON DIR
WENN DU DENKST, DU KANNST NOCH FLIEHEN
HAST DU BÖSE DICH VERTAN
WERD INS UNHEIL DICH NUN ZIEHEN
STEIG IN MEINEN HÖLLENKAHN
UND IN DIESES ABGRUNDS SCHLUNDE
WERD ICH DICH UMARMEN DANN
REISS DIR DEINE TIEFSTE WUNDE
WEIL ICH DICH DANN LIEBEN KANN

 

 

 

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Maximilian und Isabella
sanguis draconis © 03.11.2003 

„Hallo Isabella“ sagte Maximilian ganz leise. 
Isabella war irritiert. Diese Stimme? Woher kannte sie diese Stimme? Sie dachte nach, und plötzlich stieg eine Erinnerung in ihr auf an Zeiten, die schon lange Jahre der Vergangenheit angehörten. 
Diese Stimme gehörte Max. Max, der immer bei anderen Wert darauf gelegt hatte, Maxilmilian genannt zu werden, wegen seiner Größe und Stärke. Max, der ihr Vertrauter war, ihr Freund, ihr Geliebter, den nur sie allein „Max“ hatte nennen dürfen. Maxilmilian, der große, mächtige Schrank aus Eichenholz, und sie, Isabella, eine kleine Kommode mit einer Tür und 3 Schubladen, aber immerhin aus dem selben Eichenstamm wie Max gefertigt. Einst standen sie einträchtig nebeneinander im Zimmer eines kleinen Jungen. Sie waren beide voll von Kinderspielzeug und kleinen Klamotten. Alles bunt durcheinander gemixt. 
„Hallo Max“ hauchte Isabella mit bebender Stimme.
“Wie ist es dir ergangen in den letzten Jahren? Du siehst so anders aus, deswegen habe ich dich nicht gleich erkannt.“
„Ach Isabella, es war ein langer und schmerzhafter Weg bis hierher. Du aber siehst heute noch unverändert schön aus, meine Geliebte. Ich habe mir jetzt längere Zeit überlegt, ob ich dich überhaupt ansprechen soll, hab es aber dann doch gewagt.“
„Na, zum Glück hast du es getan, mein Lieber!“ flüsterte Isabella tief bewegt. „Erzähl doch, was ist passiert. Du siehst, entschuldige bitte, so klein aus. Ich habe dich viel größer in Erinnerung.“
„Ach Schatz,“ seufzte Maximilian „ wir wurden ja vor über 20 Jahren von den Eltern unseres Besitzers bei einem Umzug getrennt. Du warst plötzlich weg, ich war ganz verzweifelt, als ich in der neuen Wohnung aufgestellt wurde und du nicht dein Plätzchen neben mir bekamst. Wo warst du nur in all der Zeit?“ 
„Ich bin auf dem Speicher gelandet. Als Abstellkommode für all den alten Plunder, den die Menschen nicht mehr brauchen, aber doch nicht wegwerfen wollen.“ sagte Isabella leicht verlegen.
„Du bist hübsch, wenn du rot wirst, meine Liebe“ meinte Maximilian mit seinem alten Elan in der Stimme. „dein Teint sieht dann aus wie aus Kirschbaumholz“
„Ich durfte in der neuen Wohnung zumindest im Gästezimmer stehen. Es war natürlich schon ein sozialer Abstieg, hinein in dieses winzige Zimmer, aber immerhin war ich noch in der Wohnung der Menschen. Das tut mir leid für dich, diese ganzen Jahre auf dem dunklen Speicher. Das einzig gute daran ist wohl, dass dein Holz dadurch nicht so durch die Sonne ausgebleicht ist wie bei mir. Da oben muss es im Winter ganz schön kalt sein, oder nicht?“
„Ja, Max, ich habe jeden Winter ganz fürchterlich gefroren. Ich hab mich ganz zusammengezogen. Jedesmal sind die Menschen zur Weihnachtszeit hochgekommen, um den Christbaumschmuck aus meinem Bauch zu holen, und jedesmal haben sie geschimpft über die klemmenden Schubladen. Sie hätten den Schmuck nur im Sommer zu holen brauchen, da hat nirgends was geklemmt. Da brauchte ich mich ja nicht zusammenziehen vor Kälte. Aber jetzt erzähl doch endlich, warum du so klein geworden bist.“
„Nun, vor ein paar Tagen stand ja der nächste Umzug an. Die Menschen haben sich schon wochenlang vorher über mein weiteres Schicksal unterhalten. Sie beschlossen, mich auf die Mülldeponie zu bringen, da ich in die neue Wohnung nicht mit umziehen dürfte. Alles sollte neu eingerichtet werden. Da ist kein Platz mehr für einen wie mich. Unmodern sei ich! Mein Holz nicht mehr schön! Ist doch kein Wunder, wenn der kleine Junge damals Bilder in mich hineingeschnitzt hat.“ empörte sich Max. „Zum Glück sind diese Narben nur auf der Innenseite der Türen, sonst hätte ich den Umzug ins Gästezimmer vor 20 Jahren ja schon nicht mehr erlebt.“
„Ach Schatz“, seufzte Isabella, „Für mich warst du immer schön. Egal wie viele Narben du hast“
Max stiegen die Tränen auf bei Isabellas Worten. Er schluckte kräftig und erzählte weiter.
„Der kleine Junge ist ja inzwischen schon lang erwachsen und irgendwie scheint er an mir zu hängen. Kurz vor dem Abtransport auf die Müllkippe ging mitten in der Nacht das Licht an und er stand vor mir.
Er betrachtete mich lange, nahm meine Maße wieder und wieder mit einem Zollstock ab, streichelte mir über meine Außenseite, machte die Türen zum Aufsatz auf und zu und sagte plötzlich wie zu sich selber: ja genau, so geht’s! 
Am nächsten Tag wurde ich in meine Einzelteile zerlegt und dachte schon, mein letztes Stündlein hat jetzt geschlagen. Die Außenseiten wurden auf eine Holzbank gelegt und ich spürte plötzlich ein Kitzeln daran. Aus dem Kitzeln wurde ein unerträglicher Schmerz, als sich die Säge durch mein Holz fraß. Es war bald vorbei und mir wurde „oben herum“ so leicht ums Haupt. Mein Besitzer hatte kurzerhand die Höhe des Schrankaufsatzes abgesägt, so dass ich jetzt zwar kleiner an Gestalt, aber immerhin noch als vollwertiger Schrank zu dir hier in diesen niedrigen Raum passe.“
Isabella war entsetzt. Von einer Säge zurechtgestutzt. Der arme Max. Wie musste er gelitten haben. Aber andererseits, durch diese „Behandlung“ war er dem sicheren Tod auf der Müllkippe entronnen und was noch viel mehr zählte, er war hier bei ihr. Sie würde sich schnell an seine neue, kleinere Größe gewöhnen. Er war immerhin ein 3-Türiger Schrank. An seiner respekteinflößenden Breite hatte sich nichts geändert. Jetzt brauchte sie sich auch nicht mehr so zu verrenken, um zu ihm hoch zu schauen. Außerdem stand er praktischerweise genau gegenüber. Ach, wie liebte sie ihren Max. 
Max` Stimme riss sie aus ihren Gedanken.
„Weißt du, meine kleine Isabella, was nach unserem Wiedersehen das Zweitschönste ist: hier im Keller ist es warm, da brauchen wir in den Wintermonaten nicht zu frieren.“

 

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Die neue Wohnung 
Sanguis Draconis © 05.11. 2003 

In diesem Raum erinnert nichts an dich.
Jungfräulich weiß sind die Wände,
haben noch nie ein Bild von dir gesehen.
Das Bett ist unberührt auf deiner Seite,
meine Hand tastet am Morgen ins Leere.
Der Schrank ist viel zu groß für mich,
leere Einteilungen ohne Sinn.

Ich werde diesen weißen Wänden erzählen von dir,
sie zum Leben erwecken
mit deinem Bild, in Gedanken gemalt,
festgehalten in einem Rahmen aus Wunsch.

Ich werde mich auf diese unberührte Seite
des Bettes legen,
deine samtige Haut ertasten,
deinen berauschenden Kurven folgen,
eingemeißelt in einer Skulptur aus Wahn.

Ich werde diesen großen Schrank füllen
mit Kartons voller Erinnerungen an dich,
werde eine Schleife aus Liebe
um deine imaginären Briefe an mich binden,
sie ganz vorne hineinlegen,
griffbereit für meine Seele.

Doch bevor ich all dies tue,
werde ich dich in Gedanken über die Schwelle tragen.

 

 

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Gift der Eibe
sanguis draconis © 04.04.2003

Wie die Eibe
in Wurzeln, Stamm und Zweigen
ihr Gift nährt,
so nährt meine Einsamkeit
das Gift in meiner Seele.

Ich wünschte,
immergrüner Efeu würde sich ranken,
Ruhe geben den Augen,
die schneeblind geworden
in der frostigen Kälte
meines Lebens.

Ich wünschte,
die goldene Sonne würde sich,
wie schon seit Anbeginn
der Zeiten,
mäjestätisch über den Horizont erheben,
um diese silberne Wildnis
nach dem Schneesturm in meinem Herzen
weg zu schmelzen.

Ich wünschte,
ein warmer Wind würde wehen
über der öden Eisheimat
meiner Gedanken.
Ein lauer Aufwind,
der die Möwen aufsteigen lässt,
der fähig ist,
diese schwarze Leere
in Liebe zu wandeln.

Wenn nur ein wenig
des Windes und der Sonne
den Efeuspross,
den du in mir gepflanzt hast
zum Gedeihen bringt,
kann es vielleicht eines Tages möglich sein,
dass die Eibe kein Gift mehr nährt.

 

 

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Seltenes Lächeln
sanguis draconis © 12.04.2003 


Sonnenstrahlen und fröhliche Kinder spielen um den alten Hagestolz auf dem Dorfplatz.
Buntes Entenvolk schnattert lautstark im Gemeindeteich.

Watteweiche Wolkentupfen schwimmen wie kleine, satte Schwämme in einer großen, blauen, wohlig warmen Frühjahrsbadewanne.

Im Bürgermeisteramt sorgen offene Fenster für Durchzug der nun endlich lauen Frühlingsluft.
In einem der langen Flure plätschert es.
Die Putzfrau, klein, verhärmt, aber doch noch jung, wringt mit roten, verquollenen Fingern ihren Lappen aus. Sie richtet sich auf, stemmt beide Hände hinten an ihr Rückgrat.
Kreuzschmerzen, tagein, tagaus.

Gedankenfetzen an mageres Gehalt, teures Spielzeug, Einsamkeit nach dem Tod ihres Mannes und unbezahlte Rechnungen gehen ihr durch den Kopf.

Schritte hallen wider im Echo der Steinstufen. Ein Mitarbeiter des Bürgermeisters geht in seine wohlverdiente Mittagspause.
Sie zieht ein wenig den Kopf ein, will irgendwie gar nicht gesehen werden. Er schaut sie an wie ein lästiges Insekt, senkt den Blick auf den Putzkübel, der mitten auf den Stufen steht. Eine Augenbraue zuckt nach oben.
Sie reißt den Eimer an sich um ihn schleunigst aus dem Weg zu bringen. Etwas von dem braunen Putzwasser schwappt ihr über ihre Schürze.

Mit einem unschwer zu deutenden Grinsen geht der Mann an ihr vorbei, zündet sich eine Zigarette an, und wirft die leere Schachtel demonstrativ ein paar Meter weiter auf den Boden.

Sie bückt sich, hebt sie auf.
Das Ungeborene versetzt ihr einen Tritt.
Sonst hat sie nicht viel zu lachen.

Jetzt lächelt sie.


© I.Astalos

 

 

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Eisschmetterling
sanguis draconis © 28.03.2003 


Silberne Knospen frieren
in der frostigen Morgenluft.
Eiskristallüberzuckert.
Dazwischen unbeweglich ein Schmetterling.

Seidene Flügel erstarrt in eisiger Nässe.
Unbeweglichkeit,
Marmor gewordener Puder.
Todeshauch nascht an dir.
Glasflügel, Glaskörper, Glasträume.

Bleigraue Wolkenberge verweigern
deinem Retter den Weg.
Ganz tief innen letzter Kraftfunke,
sehnendes Warten,
träumen und dulden,
vernichtungsergeben.

Kurz vor dem Glasbruch
spaltet Wind
die Totenbegleiter,
entfacht
den rettenden Strahl.

Eiskristalle schmelzen,
tropfen verwandelt von schiefen Zweigen.
Dunkler Wald atmet vorsichtig
den ersten Dunsthauch aus.

Ungebundenes, wärmendes Licht,
zuckender Stromschlag in deinen Flügeln.
Kristallener Puder trocknet
zum schönsten Gemälde der Natur.

Starre Demut kehrt zurück in`s Leben.
Du flatterst auf ,
suchst im neuen Tag
die wärmende Vollendung deiner Seele.


( gewidmet für Angel )

 

 

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Roter Mohn
© Sanguis Draconis 23.07.2003

Gestern tratest du ein 
mit einem Strauß Mohnblumen in der Hand.
Dein Lächeln war strahlend,
nur noch übertroffen vom Glanz deiner Augen,
die den blauesten Himmel
des Sommers wiederspiegelten.

Deine erhitzten Wangen 
leuchteten mit den Blumen um die Wette.
Du erhobst leicht den Strauß,
winktest mir zu in einer kühlen Brise sanften Windes
und küsstest mich 
mit der Leidenschaft und Liebe,
die nur dir so eigen war.

Heute sehe ich zum ersten Mal
hoch im Türrahmen ein Spinnennetz.
Es glänzt silbern im Mondlicht.
An seinem Rand zittert ein kleines Herz,
vom Wind mir sacht aus nirgendwo gebracht.

Ein rotes Mohnblütenblatt

 

 

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Gedanken im Gewitterregen
sanguis draconis © 01.09.2003 

Die Birken wiegen sich im aufkommenden Wind. Urplötzlich herrscht Stille im Wald.
Ich stehe am Fenster im Dachgeschoss eines alten Hauses, knapp unter der löchrigen Dachrinne.

Erste Tropfen fallen in die Schwüle des Tages. Es werden immer mehr. Die Dachrinne gibt ein seltsames Geräusch von sich, es fängt zu glucksen an. Auf das gegenüberliegende Hausdach trommeln inzwischen die Tropfen, prallen wieder zurück, und werden von einer Windböe seitlich vor sich hergetrieben. Es sieht aus wie das Strickmuster auf einem alten, angerauten Pullover. Irgendwie erweckt dieser Anblick gedanklich Ähnlichkeiten mit dem Leben: Wir lassen uns auch antreiben, die einen mehr, die anderen weniger.

Noch tröpfelt die Dachrinne ihre ungeliebte Fracht an mir vorbei. Der Regen schwillt an, so wie unsere Sorgen, Verpflichtungen und Ängste im Laufe des Lebens anschwellen und kein Ende in Sicht ist.
Eine Eberesche scheint sich zu schütteln durch die auftreffenden Tropfen, die teilweise von den Blättern zurück hüpfen, teilweise daran herabgleiten, sich lösen und das Blatt wieder in seinen natürlichen Wuchs schnellen lassen. 
Kann es sein, dass mir der Baum zuwinkt?
Ich verscheuche diesen Gedanken.

Mittlerweile kann die Regenrinne die Wassermassen nicht mehr bändigen. Das Wasser schwappt wellenartig über und hinterlässt auf meinem Gesicht und meinem Oberkörper Spuren, die wie Tränen an mir herabrinnen.
Vielleicht sind es die ungeweinten Tränen und die Natur holt sich jetzt das Recht, das ich ihr verweigert habe.

Auf der Wiese nicken die Grashalme und Kleeblätter mir zu, als ob sie meine Gedanken gelesen hätten. An manchen Stellen kann der Lehmboden das Wasser nicht mehr aufnehmen. Es bilden sich zunächst Badeseen, dann Weltmeere für Ameisen und andere Kleininsekten. Alles eine Frage der Perspektive. 
Irgendwann wird das Wasser versickern, so wie die vielen Tränen, die auf der Welt jeden Tag vergossen werden.

Der Regen lässt langsam nach, um nur Sekunden darauf wieder in voller Stärke vom Himmel zu rauschen. Die Dachrinne gibt ein Stück neben meinem Fenster vollends ihren Dienst auf, ein Teil davon bricht nach unten weg und an einer seit langer Zeit schon vorhandenen grünen Spur fließt das Wasser kaskadenartig die Wand hinab, so wie manchmal Gefühle sich oft nach jahrelangem Warten ihre Bahn brechen und alle Dämme sprengen.

Es blitzt und donnert fast genau senkrecht über mir. Gewalten werden freigesetzt, die sich kein Mensch vorstellen kann. Der Himmel scheint diese unselige Welt zermalmen - den Zorn eines höheren Wesens auszuspucken - und alles vom Erdboden vertilgen zu wollen, was die Naturgesetze immer wieder so empfindlich stört. 

Irgendwann scheint der Zorn zu verrauchen und die Schleusen dieses dunkelgrauen, an manchen Stellen grünlich gefärbten Himmels schließen sich langsam. Die Tropfen werden immer durchsichtiger, bis sie nur noch zögernd heruntertröpfeln, als wäre ihnen der vergangene Zornesausbruch etwas peinlich. Die Luft ist rein, klar, würzig. Es riecht nach Nadelholz. Befreit kann ich durchatmen. Es ist ein Gefühl, wie wenn im Moment alle Widrigkeiten des Lebens fortgespült wären.

Die zerfaserte , zerklüftete Wolkendecke reißt auf, helle Sonnenstrahlen spitzen verschämt herunter. Immer mehr dringen durch, und ganze Bündel gleißenden Lichts lassen das Hausdach gegenüber spiegeln in seinem nassen Gewand. Es steigt Dampf auf durch die plötzlich einsetzende Verdunstung, so als ob ein gnädiges Schicksal verhüllen möchte, was die Sonnenstrahlen ans Licht bringen.

Ich frage mich, wie lange wohl diese schöne Wetterphase anhalten wird. Wann werden die Elemente wieder wüten? Nun, der Kreislauf des Regens wird sich noch einige Generationen wiederholen, bevor der letzte Tropfen auf die dann wohl öde Welt fällt.

 

 

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Kleine Farbenlehre 
© Sanguis Draconis 27.Februar 2003 

Silbernes Mondlicht 
küsst die geschundene Seele 
Reinweiße Träume 
werden durch 
orangeglühende Schmerzen über 
blutrote Taten in 
Grauzonen zur 
schwarzen Wirklichkeit. 
Grünschimmernde Hoffnung 
wird vernichtet durch 
blaue Schlagmale und 
rostbraune schorfige Wundränder in 
antrazithfarbenen Zimmern. 
Farblose Tränen 
folgen dem 
gelben Eiter des Wundbrands 
tropfen auf 
rosafarbene neu entstehende Haut. 
Goldene Gedanken 
an Freiheit sind 
lange schon gestorben im 
lichten Wahnsinn meines 
dunklen Geistes. 

 

 

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Alle Farben des Himmels
sanguis draconis © 19.04.04 

Einst, als der Himmel wieder heller war,
hast du mir mein Leben zurückgegeben.
Du fragtest nicht, wie lange es dauerte.
Mit aller Kraft, der du fähig warst,
hast du mich zurückgezogen
auf die lebens- und liebenswerte Seite des Daseins.
Ich konnte durch dich das Lachen wieder lernen,
das ich in den schmerzhaften Furchen verloren geglaubt.

Einst, als der Himmel sich golden färbte,
warst du mir nah wie ein wärmender Sonnenstrahl an trüben Tagen.
Ich liebte deine falsch gesungenen Arien in der Küche,
und je falscher du sangst, desto mehr neckte ich dich dafür.
Ich liebte es, mit dir und den Fröschen an unserem Teich
um die Wette zu quaken, und dir zu sagen,
dass deine Stimme am lautesten quaken konnte.

Einst, als der Himmel den Sturm verkündete,
der Mond in seiner unfertigen Halbzeit erstarrte,
und mein Herz metertief zu dir in die Erde fiel,
wurde mir bewusst, wie schön du gesungen hattest
zwischen deinen breiten Nudeln und schmalen Kochtöpfen,
wie melodisch das Quaken der Frösche war,
die mit dir am selben Tag zur selben Minute verstummten.

Nun, da der Himmel schwarz ist,
hilft es nichts, die selben Arien wie damals anzustimmen,
und wenn ich tausendmal lausche an den leeren Töpfen, 
es kommt nicht das leiseste Echo zurück.
Auch hilft es nicht, verzweifelt die Frösche zu locken,
sie bleiben verschwunden wie die wärmende Sonne deines Lachens,
mit der dein Wesen mir die Tage erträglich machte.

 

 

 

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Muschelbänke des Lichts
© Sanguis Draconis 20.04.2004

Fließe, gleißend Sonne, fließe in mein Meer aus fahler Traurigkeit.
Verwandle schwarzen Horizont und weit entfernte Hoffnungsinseln zu purem,
reinen Gold, so unvergleichlich reich, dass mir der angehaltene Atem stockt.
Ich möchte deine göttliche Schönheit selbst mit blinden Augen labend trinken,
und alle deine lichtgeküssten Wellen sollen Träger meiner bitteren Tränen sein.
Auf dass sie diese glitzernden Perlen meiner abgrundtiefen Trauer,
vergoldet in lichtlos, kalte, dunkle Tiefen dieser unermesslich weiten, freien Wasserwelten ziehen.

Ich möchte diese strahlenden Perlen im Garten der lieblich zarten Wassernixen säen,
und möchte zusehen , wie aus ihnen einmal Hoffnungsmuscheln wachsen.
In tausend einsam, kalten, dunklen, gottvergessenen Jahren, so denk ich,
wird die, von zarter Hand so prunkvoll angelegte Muschelbank vollendet sein.
Einst werden Taucher, noch heute ungeboren, die Muscheln staunend öffnen,
daraus ein gleißend Strahl, sich Strahl um Strahl zu Lichterbündeln fügt.
Die seit Äonen lichtlos, schwarzen, kalten Welten, sie schauen zum allerersten Mal das Licht.

Das Rauschen dieser ihrem Sinn beraubten offnen Lebenskelche
wird der Choral der Auferstehung und des totalen Neubeginns
in einer Welt, die zögernd ahnt, was helles Licht für sie bedeutet,
und die sich unermesslich freut auf eine andere, neue, goldene Zeit.

 

 

 

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Ans Ende der Welt
sanguis draconis © 08.05.2003 

Für dich ans Ende der Welt zu gehen
war mein Bestreben.
Tatsächlich ging ich darüber hinaus.

Ich fand mich in einer abgrundtiefen Welt 
ohne Leben und Licht
hinter dem frostigen Tor 
des Schweigens.

Wo Dunkelheit ihre
schwarzen Tücher ausbreitet,
die meine Seele verhüllen
und das Herz schreien lassen.

Gefilde, in denen das Fieber
die dunklen Blumen der Einsamkeit
von filigraner Gestalt
zu Ungeheuern anwachsen lässt.

Ferne Ufer mit schwarzem Sand,
den verdammte Mitternachtsdämonen
in Uhrgläser des 
ungewissen Schicksals füllen.

Regionen, in denen der Pulsschlag stoppt,
Blut in den Adern gefriert
und das Leben 
sich vom Körper schält.

Tausendmal würde ich heute 
um deinetwillen
dieses frostige Tor durchschreiten,
wenn ich nur wüsste, 
es bringt dich zurück.

 

 


Kommentar von Kerstin Jäckel,  9.5.03 0:35

Höre die Zaubersprüche der Nacht 
und fühle ihre Tränen der Liebe, 
die schwarze Tücher dunkelrot erglühen lassen, 
dein Herz in lächelndes Gleichmaß bringen, 
Ungeheuer der Einsamkeit 
zu schüchtern blühenden Rosen formen, 
die Schwärze des Sandes 
zu einem glitzernden Sternenmmeer entfachen 
und dein Blut in fließendes Pulsen entlassen, 
das Ängste schmilzt 
und Leben in verjüngendem Lachen umfängt.

 

 

 

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Quidi auf Inspektionsrundgang
sanguis draconis © 22.04.2003 


Hallo Sie,

ich muss meinem Ärger jetzt mal Luft machen. Immer ständig diese Querelen mit meinem Träger. Dabei mache ich, wie sie bereits wissen, nur meine Arbeit. 
Mein Arbeitstag beginnt sehr früh. Als Unternehmer kann man nicht früh genug auf dem Posten sein. Nun, es ist gerade 4 Uhr morgens, die ideale Zeit, fröhlich mit der Arbeit zu beginnen. Begleiten sie mich doch mal auf meinem Rundgang.

Gleich hinter den schönen Zimmern der Vorstandsetage beginnt schon das Chaos: unzählige leere Büroräume der früheren Angestellten liegen auf diesem Flur. Da muss ich gleich mit ordnender Hand eingreifen und ein paar Türen dauerhaft versiegeln. Ist ja sowieso kein Bedarf mehr dafür, in den Zimmern hängen höchstens noch ein paar Spinnweben rum. 

Also, mal sehen, Büro Nr. 100 150 445 297 bis Büro Nr. 100 150 445 311; früher die Verwaltung der Gedankengänge für den Job als Rausschmeißer in diesem obskuren Schuppen vor vielen Jahren. Na ja, die Gedanken waren eh nicht so vielfältig. Wenn man sich mal vorstellt: 15 Büros für die Verwaltung dieser kümmerlichen Gedankenausbeute damals. Da wundert mich nicht, dass bei der Schließung dieser Abteilung durch meine Wenigkeit nur ein paar verstaubte Akten übrig blieben, Futter für den Reißwolf.
So, flugs das Schweißgerät angesteckt und die Türen endlich ganz versiegelt. 

Hoppla, jetzt rumpelts wieder. Mein Träger dreht sich um im Schlaf. Jetzt hätte ich beinahe das Schweißgerät fallen lassen. Etwas Kühlflüssigkeit läuft jetzt wieder aus der Nase. Ich hör jetzt schon wieder die Beschwerden durch meinen Träger.

"So, geschafft ! Weiter geht’s !"

Ah, sieh da, das Büro zuständig für die Erinnerungen vom 18. August 1974. Ich glaube, Sie stimmen mit mir überein, Erinnerungen an den 10. Geburtstag braucht ein erwachsener Mensch nicht ein Leben lang mit sich rumschleppen. Unnützer Ballast ! Kucken wir mal rein:

- Klopf, klopf -

„Guten Morgen, dieses Büro wird hiermit offiziell aufgelöst. Packen Sie bitte ihre persönlichen Sachen und räumen sie das Büro sofort. Von meiner Sekretärin bekommen sie ihr letztes Gehalt bar ausbezahlt. Danke für ihre Zusammenarbeit.“

Sehen Sie, es ist ganz leicht, Kündigungen auszusprechen. Die Büroangestellten sind von meinen Überraschungsaktionen so geplättet, dass bis jetzt noch nie Widerspruch zu hören war. 

Sehen wir uns mal die Akte an.

Ah, damals gabs das vielgeliebte Segelboot als Geburtstagsgeschenk. Und jede Menge Windbeutel mit Erdbeersahnefüllung. Hier im Tagesablauf steht was von einem schönen Tag am Froschtümpel mit dem neuen Boot und einer Prügelei mit dem Nachbarjungen wegen ebendiesem Boot. Tja, ein Schläger war mein Träger immer schon, wie hiermit bewiesen wäre.

Na, Sie sehen, Erinnerungen, die echt keiner mehr braucht. Alles Futter für den Reißwolf, wie schon so oft. Wen kümmert ein längst zerbrochenes Segelboot und ein Tag am Froschtümpel? 

Ich habe bereits über Funk die Umzugshelfer angefordert. Sie räumen jetzt die Möbel aus diesem Büro, dann kann ich die Tür versiegeln. So was, die Heizung läuft ja noch. Schnell abdrehen und zuschweißen, dann ist schon wieder was eingespart.

Oh, verflixt, ich bin beim Verschweißen etwas an die Wand gekommen, jetzt ist mein Träger wach. Das mag ich gar nicht, wenn er über meiner Arbeit aufwacht, da hagelt`s immer sofort Proteste. Aber momentan hustet er mal wieder die rote Kühlflüssigkeit gegen die Wand. Ich kann das Gezeter jetzt schon hören. Was kann ich dafür, wenn er einen Hustenanfall bekommt.

So, jetzt mach ich erst mal Frühstückspause, bis die Wogen sich geglättet haben, sprich, bis sich mein Träger wieder etwas beruhigt hat. Bei dem Gehuste kann man ja durch die Erschütterungen nicht vernünftig arbeiten.

Sie sehen, mein Arbeitsablauf gestaltet sich oft als schwierig.
Würde mich freuen, wenn Sie nachher wieder dabei wären beim Inspektionsrundgang.
Ich möchte ihnen doch meinen Wahlspruch beweisen:

Ich mache keine halben Sachen!


© I.Astalos

 

 

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Lass es nie beginnen 

© Sanguis Draconis 23.07. 2003 
Lange bevor es beginnt, wird Seide zu Stein,
wird sich der Atem des Mescalin wie 
süßer, giftiger Honig in die Seelen schleichen.
Der Schmetterling wird die Hornisse töten
und der Hase auf dem Feld 
wird mit seinen Fangzähnen den Eber jagen.

Kurz bevor es beginnt, werden Bäche die Quelle schänden,
werden die Blätter 
mit ihrem grünen lebendigen Kokon die Bäume ersticken.
Die Maus wird den Adler pfählen,
die Schafe werden die Wölfe schlachten
und mit den blutigen Fellen um die Wette laufen.

Am Anbeginn wird Wasser zu Gift und Speichel zu Säure,
der Aufschrei der Gewalt wird die zarten Stimmen übertönen,
lauter noch wie Donnerhall wird er in den Ohren
der Liebenden dröhnen, die sich aneinander zerfleischen.
Die Täler werden die Berge bezwingen
und das Eis gefriert die lodernden Flammen.

Währenddessen werden die unseligen Trommeln geschlagen
auf den Bäuchen der Schwangeren.
Blut wird zu Wasser und Gefühle zum Nichts
Die Gedärme werden nach außen drängen
und die Söhne ihre Väter köpfen

Danach werden lebende Leichname
durch die einsamen Straßen ziehen,
sich um den Dreck auf der blanken Erde balgen.
Sie werden mit ihren knöchernen Händen
nach jenen längst toten Schemen zu greifen versuchen,
die dieses ausgelöst haben,
lange bevor es begann.

 

 

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Erinnerungen an Nemesis II 

© Sanguis Draconis 12.Februar 2003 



Unmenschlichkeit schwarzer Keil 
Treibt rostige Löcher in Fleisch und Seele. 
Des Zimmers Wände 
Bluten aus die Angst, den Schmerz. 
Von der Decke ein Sturzbach aus Blut. 
Der Boden speit aus die Dämonen, 
Die sich noch Menschen nennen. 
Der heißersten Hölle entsprungen 
Doch von Frauen geboren. 

I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I I 


Brutale Fäuste donnern ins ungeschützte Fleisch. 
Skalpelle, eigentlich Werkzeuge des Heilens 
Reißen tiefe, schnelle, sprudelnde Krater. 
Stahl gegen Muskeln 
Strom gegen Geist. 
Wie Schwefelsäure frisst sich Salz 
In frische Wunden. 
Wissen um tagelanges Höllenbrennen 
Nimmt den Atem 
Bevor noch das erste Korn fällt. 

- - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - - 
= = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = = 

Schreien des Körpers 
Sich zu krümmen, zu zucken, 
Doch stählerne Fesseln quälen 
Des unversehrten Fleisches letztes Stück. 
Geist löst sich, muss sich loslösen 
Rückzug in die Tiefen des Ich, 
Denn nichts bliebe übrig als die Asche des Selbst. 

 

 

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Zwielicht der Dämmerung
sanguis draconis © 25.04.2003

Wenn vom letzten Regenbogen
die Farben lautlos ins Wasser gleiten,
der Albatros im Sturzflug stirbt;

Wenn der Schaum der Wellen
meine Spuren glättet,
der Wind mir von Ewigkeit erzählt,

Wenn meine Träne fällt
in schwarze Gewässer der Einsamkeit,
die Muscheln ihr Rauschen verlieren;

dann lockt mich diese unheimliche Weite
mit ihrem lang erhofften Nichts,
einzutauchen ins Zwielicht ihrer Dämmerung.

Begleitet von zärtlichen Delphinen 
erschließen sich erhabene Gefilde 
jenseits aller Vorstellungskraft.

Herrliches Verlieren in namenlosen Tiefen
unvergleichlich süßen Vergessens 
im befreienden Schlaf meines Todes.




 

Fuer SD - von DeGie

mit Link nach Sinntaucher zu 20 Kommentaren von 
S
anguis Draconis, Carina Magic,
Kerstin Jäckel
et al

und mp3-Download der Audio-Version

 

... und fliegt noch immer

 von Lemann, Vogelflug und Staubsauger-Vertreterin (zu Drachis 40.)

 

 sanguis draconis

sanguis auf keinverlag.de

Banner des ehemaligen Drachenforums by I.Astalos

 

der kleine hunger zwischendurch

Teamwork-Thread feat.
ElfenPein, MirandaSacricosa, Ludwig Janssen, Sanguis Draconis, Carina Magic, Orinoco, Sam

 

 

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